Grenzstein des Lebens-der Anfang im Ende

Die im Jahr 2019 von der Synagogengemeinde errichtete Trauerhalle auf dem jüdischen Friedhof in Bonn-Ückesdorf (Waldfriedhof Kottenforst) erinnert in ihrer Gestaltung an ein Zelt. Die Initiative für eine Innengestaltung der Halle ging von der Gesellschaft für Christlich- Jüdische Zusammenarbeit in Bonn aus; der Dank gebührt den großzügigen Spendern, die das Werk mitfinanziert haben.

Diese Aufgabe wurde dem in Bonn ansässigen Künstler Dieter Rübsaamen übertragen, der seine grafische Ausbildung bei dem jüdischen Maler Arie Ogen erhielt, dessen großes Jerusalem Werk im Eingangsbereich der Bonner Synagoge hängt. Der Künstler entschied sich für eine Skulptur.

Dieter Rübsaamen, Momentaufnahme genesis

Die im Jahr 2022 entstandene Skulptur ist Teil seiner SCHRIFT-BILD Werkgruppe “Jenseits der Worte- vom Bewusstsein, dass etwas fehlt und der Erfahrbarkeit unsichtbarer Prozesse“.

Dem Künstler oblag die künstlerische Gestaltung eines Werks über eine Welt, in der im Judaismus für Worte des Todes kein Platz vorhanden ist. „Der Tod existiert jenseits der Worte, lässt sich nur mit der Sprache des Unvereinbaren fassen: Er ist das eine und das andere zugleich…“*; insoweit auch die in der Skulptur eingravierte Ziffer 7 aus dem Tractatus von Ludwig Wittgenstein: „Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen.“ 7. TLP)

Momentaufnahme genesis

Die Steinmetzarbeiten wurden durchgeführt von Alois Schüller, Steinmetz- und Bildhauermeister in Bonn und das künstlerisch durch Glasschmelzarbeiten gestaltete Glaselement in der Mitte des Granitblocks von Georg Linden, Glasmalermeister und Meisterdesigner, staatl. Glasfachschule Rheinbach.

Die hellgraue, bewusst unvollkommene Granitkruste (ca. 2,70 x 1,50 x 0,30 Meter) – bleibt in ihrer äußeren Form naturbelassen. Die obere rechte Granitkante des Blocks wurde jedoch herausgebrochen. Es entsteht eine Leerstelle, somit eine sinnbildlich zerstörte Stelle, auch eingedenk des Bewusstseins, dass etwas fehlt. In der Mitte des Blocks wird eine Öffnung ausgeschnitten, die eine besondere Form erfährt. In sie wird ein Glaselement eingelassen. Dieses Element enthält ineinanderfließende Farbfelder, die Assoziationen zu einer Zeitabfolge zulassen: quasi eine zeitlich festgehaltene Momentaufnahme aus der wechselvollen-bedrohten und begleiteten-Geschichte Israels. Von unten nach oben zieht sich wasserfarbenes Dunkelblau über diverse Farbschattierungen hin zu Sandfarben und Grünfläche wieder zu einem lichten Himmelblau. Im hellen linken Oberbereich der Glasplatte sind nach Vorgaben hebräische Schriftzeichen unter Bezug auf das Ewige und Einzigartige angebracht. Die Skulptur wird vor die Rückwand der Totenhalle aufgestellt. Die etwas ins Ocker gehende Farbgebung der sichtbaren rohen Steinblöcke dieser Rückwand lassen noch Fugenlöcher in der Mauer erkennen; Freiraum für weitere Assoziationen.

Dieter Rübsaamen September 2022 www.dieter-ruebsaamen.de

*Zur Thematik der Unsagbarkeit des Todes im Judaismus vgl. u.a. Delphine Horvilleur:“Mit den Toten leben“, Hanser Verlag Berlin, 2022, S. 100