Suche nach Unsichtbarem - Bilder stecken voller Zitate, Anspielungen und Zeichen - Sie beziehen sich auf Literatur, Philosophie und Wissenschaft
Von Gudrun von Schoenebeck
Bonn. Dieter Rübsaamen ist immer gedanklich auf dem Sprung. Wach, schnell und interdisziplinär zitiert er Kafka, Beuys und Beckett, umreißt wie nebenbei die Grenze von Sprache und Denken und zückt dann ein kleines Suhrkamp-Taschenbuch - den Tractatus logico-philosphicus von Wittgenstein.
Schwere Kost, so befürchtet man, werde dem Besucher in der Ausstellung "dem Unsichtbaren lauschen" vorgesetzt. Doch die vom Künstlerforum und Kunstmuseum gemeinschaftlich produzierte Retrospektive zum 70. Geburtstag von Dieter Rübsaamen entpuppt sich als unterhaltsamer und anregender Blick auf 50 Jahre künstlerisches Suchen und Finden.
Statt einer braven chronologischen Abfolge des Oeuvres hat man sich zugunsten einer Hängung in inhaltlich zusammengefassten Werkgruppen entschieden. Mit dem Verkauf von Arbeiten aus der frühen "Maxsainer Werkgruppe" finanzierte sich Rübsaamen ab 1957 sein Jurastudium.
Die Freiheiten einer finanziell gesicherten Existenz als Verwaltungsjurist genoss er nicht nur bis zu seiner Pensionierung vor sieben Jahren, er nutzte sie auch künstlerisch. Zwei Pole seiner Persönlichkeit - eine sprunghafte Spontaneität und die systematische Ausdauer - zeigt eine Videodokumentation in der Ausstellung.
In dem (mit einer Stunde Laufzeit etwas zu lang geratenem) Film bewegt sich Rübsaamen sowohl im kreativen Chaos seines Friesdorfer Ateliers als auch in der strengen Ordnung seiner Privatbibliothek.
Hier versammelt der 70-Jährige in Ordnern mit der Aufschrift "Prägungen" seine philosophischen, wissenschaftlichen und künstlerischen Helden. Allen voran der österreichische Philosoph Ludwig Wittgenstein, dessen Tractatus von 1921 Ausgangspunkt und Sprungbrett für Rübsaamens Suche nach dem Unsichtbaren und Ungewissen ist.
"Alles was wir sehen, könnte auch anders sein. Alles, was wir überhaupt beschreiben können, könnte auch anders sein", sagt Wittgenstein und bezieht sich auf die Grenzen von Sprache und Bewusstsein. Für Rübsaamen eine Schlüsselstelle, deren Abschnittsbezeichnung "5.634" als Chiffre in etlichen Arbeiten auftaucht.
Empfindungen, Gedanken und Unbewusstes will er aus der unsichtbaren in die sichtbare Wirklichkeit holen. Dazu wechselt Rübsaamen die Perspektiven, die Materialien und ist auch stilistisch schwer zu fassen. In der Arbeit "Gummitücher amtlich vorgestempelt" fragt er nach den existenziellen Spuren eines Verwaltungsvorgangs.
Die siebenteilige Serie "Häuser des Lebens, Häuser des Todes, Labyrinth der Einsamkeit" beschäftigt sich auf geheimnisvoll übermalten Architekturplänen mit unterschiedlichen Jenseitsvorstellungen.
Von einem Besuch im europäischen Laboratorium für Teilchenphysik CERN in Genf bringt er Abdrücke von Elementarteilchenschauern mit und überlagert sie mit Röntgenaufnahmen der menschlichen Gehirnschale.
Rübsaamens Werke stecken voller Zitate, Anspielungen und Zeichen, fortwährend bezieht er sich auf Literatur, Philosophie und Wissenschaft. Doch was er eigentlich schafft, sind neue Bilder, die sich trotz ihrer theoretischen Durchflutung unverkrampft und ästhetisch eigenständig behaupten.
Auch ohne den Tractatus von Wittgenstein in der Tasche zu haben, kann man diese Ausstellung genießen.
Weitere Informationen unter www.kuenstlerforum-bonn.de
Artikel vom 20.08.2007
Quelle: www.general-anzeiger-bonn.de/index.php?k=loka&itemid=10003&detailid=346437